Zu Besuch auf dem neuen Prüfstand

des Fraunhofer IWES

 

Wenn Windenergieanlagen immer größer und deren Rotorblätter länger werden, müssen auch die Teststände wachsen. In Bremerhaven können die Rotorblätter nun am neuen Prüfstand bis zu einer Länge von 140 Metern getestet werden. Das ist bisher europaweit einmalig. 

Solange sich die Windenergieanlagen drehen, ist alles gut. Denn sie sind das Rückgrat der Energiewende. Eine ganz entscheidende Rolle, weil strukturell zu den kritischsten Komponenten der Windenergieanlage gehörend, spielen dabei die Rotorblätter. Auf ihnen lasten schließlich enorme Kräfte. Die 50 bis 70 Tonnen schweren Blätter aus bis zu 150 Lagen Faserverbund-Werkstoffen wie Carbon-  und Glasfaser bestehenden Konstruktionen, die mit Harz verklebt werden, müssen hoch belastbar sein.

Für den neuen Prüfstand wurde viel Geld in die Hand genommen: Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) förderte den Bau des neuen Prüfstands mit rund 18 Millionen Euro. Vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), dem Land Bremen und dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung EFRE kamen rund fünf Millionen Euro. Die Bauzeit betrug zweieinhalb Jahre.

Damit diese ihre Lebensdauer von 25 Jahren erreichen, ohne – insbesondere auf See –erst aufwändig und kostspielig abmontiert zu werden, müssen sie vor der Montage ausgiebig mechanisch getestet werden. Das ist für größere Windenergieanlagen nur an wenigen Prüfständen innerhalb Europas und weltweit möglich. Zwei davon befinden sich seit 2009 am Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme IWES in Bremerhaven. Bereits mehr als 40 Prüfkampagnen zur Zertifizierung von Rotorblättern sind dort in den vergangenen zehn Jahren durchgeführt worden. Neben den Prüfständen betreibt das Institut hierzu auch ein akkreditiertes Materialprüflabor. 

Gewaltig waren die Dimensionen dort bisher auch schon: An den beiden Prüfständen konnten bereits 70 beziehungsweise 90 Meter lange Rotorblätter getestet werden. Das entspricht in etwa dem Bremerhavener Columbus-Center, das rund 88 Meter in den Himmel ragt. Da neue Windenergieanlagen wie der Prototyp der Three Gorges Corpooration in China mit einer Kapazität von 18 Megawatt mit 130 Meter auch immer längere Rotorblätter haben, ist der neue Prüfstand 115+ auf eine Blattlänge von bis zu 140 Meter ausgelegt – und damit derzeit der größte in Europa. Zum Vergleich: So hoch ist der Fallturm des Zentrums für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation der Universität Bremen. 

Kontinuierliche Weiterentwicklung der Testmethoden

Entscheidend ist aber nicht nur die Infrastruktur – auch die Testmethoden werden laufend weiterentwickelt, um die Prüfungen so realitätsnah wie möglich und schneller durchzuführen. „In den Prüfständen finden im Zuge der Zulassung durch Prüfgesellschaften zum einen statische, zum anderen dynamische Tests statt“, erläutert Niels Ludwig, Senior Engineer in der Abteilung Rotorblätter. 

Für die statischen Tests werden zunächst mehrere Hundert Messsensoren im und am Rotorblatt angebracht. Dann wird es mithilfe von großen Kränen an den Teststand gehoben und dort festgeschraubt. Sogenannte Lastscheren umgreifen das Blatt an mehreren Stellen, das dann um 12,5 Grad nach oben gekippt und in mindestens vier Richtungen gebogen wird. Entscheidendes Kriterium dabei: Das Rotorblatt muss ohne zu zerbrechen auch eine sogenannte Jahrhundertböe mit einem Biegemoment von bis zu 160 Mega-Newton-Meter aushalten. Dabei biegt sich das Rotorblatt stark durch: 30 bis 40 Meter Durchbiegung an der Blattspitze sind möglich. 

Derzeit sind mehr als 300 Wissenschaftler*innen und Angestellte sowie über 100 Studierende an den neun Standorten des Fraunhofer IWES in Bochum, Bremen, Bremerhaven, Görlitz, Hamburg, Hannover, Leer, Leuna und Oldenburg beschäftigt. Am Standort Bremerhaven sind es rund 95 Mitarbeiter.

Fatigue-Tests dauern rund eineinhalb Jahre

Von großer Bedeutung sind aber auch die Ermüdungsprüfung, bei der bei dynamischen Tests die Ermüdung des Materials während der Lebensdauer von 20 bis 25 Jahren mithilfe von künstlich erzeugten Schwingungen in kurzer Zeit simuliert wird. Rund eineinhalb Jahre dauern solche Prüfungen im Durchschnitt. Der Test eines einzigen Rotorblattes kann aber auch bis zu zwei Jahre dauern. Möglich sind dabei nicht nur Ganzblattests, sondern auch die Prüfung von Teilsegmenten. Die Hersteller investieren dafür einen sechsstelligen Betrag. 

„Im Teststand simulieren wir die Alltags-Belastung für die Modellvalidierung oder eines bereits weit entwickelten Blatts im Zuge der Zertifizierung“, so Ludwig. „Dazu prüfen wir, ob das Material auch der Dauerbelastung durch die Schwingungen über die Lebensdauer standhält. Hierfür stellen wir künstlich eine kontinuierliche Auf- und Abbewegung her.“ Auf diese Weise wird ermittelt, wie sich das Material verhält. Sollten beispielsweise Strukturrisse auftreten muss geprüft werden, ab welcher Belastungsdauer und an welchen Stellen. 

„Alle diese Daten fließen dann in die abschließende Weiterentwicklung des Rotorblattes bis zur Serienfertigung mit ein. Dementsprechend müssen die Ergebnisse absolut zuverlässig sein“, unterstreicht der Senior Engineer. Der Hersteller braucht schließlich Sicherheit, dass die Komponenten technisch einwandfrei sind, bevor sie in Serie gehen. „Typischerweise sind es jedoch nur minimale Details, beispielsweise muss die Komponente an bestimmten Stellen noch verstärkt werden“, so Ludwig.

Premiere am Prüfstand: das neue Vestas-Rotorblatt

„Wir arbeiten für alle Rotorblatthersteller, die aber meist nicht genannt werden möchten“, berichtet Ludwig. Dass allerdings der dänische Windenergieanlagenhersteller Vestas das erste Unternehmen sein wird, das hier sein neues Rotorblatt testet, ist kein Geheimnis mehr. Konkret geht es um die 115,5 Meter langen Komponenten des neuen Prototypen „V236-15.0 MW“, die weltweit in Offshore-Windenergieanlagen zum Einsatz kommen sollen. 

Wie groß künftige Windenergieanlagen sein werden, ist noch ungewiss. Ein chinesisches Unternehmen plant Berichten zufolge bereits eine 330 Meter hohe Anlage mit rund 22 Megawatt Leistung und 160 Meter langen Rotorblättern. Der derzeit größte Prototyp mit 18 Megawatt befindet sich ebenfalls in China. Logistisch wird es dadurch immer anspruchsvoller: „Schon bei einer Länge von 90 Meter ist der Transport an Land grenzwertig“, weiß Ludwig. Danach ist dieser nur noch auf dem Seeweg möglich. Und dennoch: „Wir rechnen bereits mit der 20-Megawatt-Windenergieanlage mit entsprechend langen Rotorblättern“, so der Senior Engineer. „Die schiere Größe ist schon eine Herausforderung, aber wir sind hier in Bremerhaven jetzt schon darauf vorbereitet.“

Für den neuen Prüfstand wurde viel Geld in die Hand genommen: Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) förderte den Bau des neuen Prüfstands mit rund 18 Millionen Euro. Vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), dem Land Bremen und dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung EFRE kamen rund fünf Millionen Euro. Die Bauzeit betrug zweieinhalb Jahre. 

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