Einblicke in die Herausforderungen und Chancen der Regulatorik in Wertschöpfungsketten
Dr. Kai Henke ist Senior Manager bei der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Als Unternehmensberater hat er sich auf Liefer- und Wertschöpfungsketten spezialisiert. Im Gespräch gibt er einen Überblick welche Rechtsvorschriften Unternehmen beachten müssen.
Herr Dr. Henke, Sie haben sich auf die regulatorischen Anforderungen für Wertschöpfungsketten spezialisiert. Das klingt eher nüchtern. Wie kam das?
Tatsächlich ist das ein sehr vielfältiger Bereich. Insbesondere die Regulatorik verändert sich fortlaufend und ich finde es spannend, Unternehmen dabei zu beraten, diese Veränderungen anzugehen und zu meistern. Dabei kann ich auf meine praktischen Erfahrungen im Umgang mit Wertschöpfungsketten bauen. Vor meinem Wechsel in die Beratung war ich zehn Jahre in einem Handelsunternehmen tätig, zunächst im Vertrieb und anschließend im Einkauf. So kenne ich heute beide Seiten eines Handelsunternehmens. Schon während meiner Zeit als Einkäufer im Jahr 2015 spielten Anforderungen an die Nachhaltigkeit eine wichtige Rolle, damals noch stark getrieben von Nichtregierungsorganisationen. Dass die Regulatorik heute einen wesentlichen Bestandteil meiner Tätigkeit bei KPMG ausmacht, ist vor allem gesetzlich begründet. Ein bedeutender Meilenstein in diesem Zusammenhang war der Jahreswechsel 2020/2021, als der erste Referentenentwurf des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) vorgelegt wurde.
Das Gesetz wurde 2021 verabschiedet und trat 2023 in Kraft – heute beschäftigen sich die allermeisten Unternehmen damit. Welche Herausforderungen sehen Sie für eine nachhaltigere Wirtschaft?
Meines Erachtens besteht die größte Herausforderung darin, die Leistungsfähigkeit im Gesamtmarkt zu steigern. Insbesondere im Bereich der Nachhaltigkeit bedarf es einer signifikanten Verbesserung der Performance. Bei allen berechtigten Anforderungen an das Reporting, schlussendlich ist entscheidend, was die Unternehmen in puncto Nachhaltigkeit tatsächlich leisten.
Neben den traditionellen wirtschaftlichen Kennzahlen gewinnt die Reduktion negativer Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft sowie die Anpassung von Geschäftsmodellen an Nachhaltigkeitsziele zunehmend an Bedeutung. Welchen Veränderungsdruck sehen Sie für Unternehmen und wo kommt der her? Welche Rolle spielen Endverbraucher dabei?
Geschäftsmodelle sollten stets vom Kunden her rückwärts gedacht werden, da auch die meisten B2B-Transaktionen beim Endverbraucher ankommen. Ein großer Treiber für Veränderung ist somit der Konsument. Dies gilt ebenso für die Logistik, auch wenn Leistungen dem Konsumenten hier oft verborgen bleiben. Ob aber im Verborgenen oder sichtbar, das Interesse bleibt dasselbe. Unternehmen streben generell danach, eine effiziente Logistik zu gewährleisten und Verschwendung zu minimieren. Zusätzlich zu gestiegenen Kundenanforderungen spüren die Unternehmen den Veränderungsdruck, der seitens des Regulators aufgebaut wird.
Also vom Gesetzgeber.
Richtig. Zahlreiche neue Gesetze treten in Kraft und die Unternehmen setzen alles daran, diese einzuhalten und ihre Compliance sicherzustellen.
Von welchen Gesetzen sprechen wir?
Das Thema, das in den letzten zwei Jahren zweifellos den größten Einfluss auf die meisten Unternehmen hatte, war das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Das LkSG ist seit 2023 in der Anwendung und gilt nun für alle Unternehmen mit mehr als 1.000 inländisch beschäftigten Mitarbeitenden. Dies wurde von der Bundesregierung, damals noch unter der Großen Koalition, im Rahmen eines Kompromisses erarbeitet. Im Rahmen des European Green Deals ist nun ein zweites Maßnahmenpaket auf europäischer Ebene hinzugekommen. Viele haben sich dies gewünscht, um gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle europäischen Unternehmen zu schaffen. Und durch den European Green Deal kommen viele unterschiedlichen Regularien hinzu, die einen weitaus höheren Einfluss auf die Unternehmen haben werden als das LkSG.
Und zwar?
Zum einen die CSRD, die viele Unternehmen beschäftigt und ab nächstem Jahr vor allem große Unternehmen unter einheitlichen Maßstäben zur Nachhaltigkeitsberichterstattung verpflichtet. Das setzt gleiche Standards und eine Vergleichbarkeit von Nachhaltigkeitsaktivitäten der Unternehmen voraus. Dies ist äußerst spannend, stellt jedoch auch eine große Herausforderung dar, da die erforderlichen Daten oft noch nicht vorliegen. Sie müssen mit neuen Methoden erhoben werden und die Unternehmen sind dabei, diese Aufgabe anzugehen. Das stellt die Unternehmen vor die Herausforderung, diese nun umzusetzen. Zudem greifen seit letztem Jahr die ersten Anforderungen des CBAM (Carbon Border Adjustment Mechanism). Es betrifft bestimmte Warengruppen, wie zum Beispiel Zement oder Dünger, die besonders CO2-intensiv sind. Hier müssen Unternehmen angeben, welcher CO2-Fußabdruck in der Lieferkette entstanden ist, und zwar außerhalb der Europäischen Union. Das ist relevant, weil innerhalb der EU ein CO2-Preis gilt, den die Unternehmen nicht über eine Produktion außerhalb der EU einsparen sollen.
Und es kommt die neue Entwaldungsverordnung.
Richtig und die hat es in sich. Die EUDR (European Deforestation Regulation) gilt ab dem 30.12.2024 für alle Unternehmen, die bestimmte Waren importieren, exportieren oder auf dem Markt bereitstellen. Dies betrifft viele Produkte, die mit Entwaldung in Verbindung stehen. Zum Beispiel: Kaffee, Kakao, Kautschuk, Holz, Soja, Palmöl, Papier, sowie einige daraus hergestellte Produkte und Lebensmittel. Für die Rohstoffe müssen Unternehmen zukünftig die Entwaldungsfreiheit nachweisen und belegen, dass die Rohstoffe im Einklang mit den nationalen Rechtsvorschriften produziert wurden. Dafür benötigen sie Transparenz über die gesamte Lieferkette. Und im speziellen Fall der Entwaldung müssen die Unternehmen herausfinden, von welchen Polygonen die Rohstoffe stammen und ob die Landflächen in den letzten vier Jahren abgeholzt wurden. Aber auch dieser Erhebungsprozess ist noch nicht etabliert. Unternehmen innerhalb der Europäischen Union benötigen diese Daten von ihren Vorlieferanten und sollen anschließend ein Informationssystem der EU nutzen, das leider noch nicht fertiggestellt ist. Dort soll jeder Teilnehmer der Lieferkette seine Sorgfaltserklärung eintragen, die dann notwendig ist bei der Abgabe der relevanten Produkte am Markt. Das gilt ab dem 30.12.
Sind die Herausforderungen für kleinere Unternehmen nicht ungleich größer als etwa für einen Konzern?
Große Unternehmen sind aufgrund ihrer Heterogenität und Komplexität in besonderem Maße gefordert, haben aber andere Ressourcen zur Verfügung, um diese Gesetze umzusetzen. Kleine und mittelständische Unternehmen, also Unternehmen kleiner 250 Mitarbeiter, kleiner 50 Millionen Euro Umsatz, haben häufig Ausnahmeregelungen. Doch auch sie können betroffen sein, wenn sie in die Lieferketten von verpflichteten Unternehmen integriert sind.
Können Sie mal ein Beispiel geben?
Nehmen wir die Entwaldungsverordnung. Große Unternehmen müssen jetzt die Entwaldungsfreiheit, beispielsweise für Schokolade, sicherstellen. Dafür brauchen sie die Daten von dem Schokoladenhersteller, der in diesem Beispiel ein KMU ist. Dann muss der Schokoladenhersteller trotzdem den Aufwand betreiben und die Daten zur Verfügung stellen. Im Verhältnis zur Gesamtanzahl der Mitarbeitenden sind die mittelständischen Unternehmen mit Sicherheit in besonderem Maße belastet.
Wie könnte die Regulierung besser gemacht werden, um die Wirtschaft tatsächlich nachhaltiger zu machen?
Für mich stellt sich die Frage, ob alles über die Regulatorik gelöst werden kann und sollte, zumal sie oft unkonkret und unausgereift ist. In meiner praktischen Erfahrung sehe ich, dass zu viel Regulierung häufig ein Hemmschuh für Unternehmen ist, der viel Zeit und Ressourcen in Anspruch nimmt. Diese könnten teilweise effektiver für die Optimierung der eigenen Wertschöpfung und Nachhaltigkeit eingesetzt werden, anstatt nur die gesetzlichen Auflagen zu erfüllen. Ich würde mir vom Gesetzgeber wünschen, dass künftige Gesetze zunächst praxiserprobt werden und alle notwendigen Informationen, Tools und Richtlinien bereits bei ihrer Verabschiedung vorliegen. Wir haben es beim Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz gesehen: Seit Inkrafttreten im Jahr 2023 sind zahlreiche Handreichungen hinzugekommen, die erst nach dem 1. Januar 2023 veröffentlicht wurden. Es wäre schön gewesen, wenn Unternehmen diese Informationen bereits zum Start des Gesetzes vorliegen gehabt hätten.
Danke für das Gespräch.
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