Herr Wittmaier, das Institut gibt es seit 2000. Sie sind der erste und bislang einzige Institutsleiter. Was würden Sie sagen, haben alle Projekte gemeinsam?
Unsere Projektthemen sind sehr vielfältig, reichen von Untersuchungen zum Einsatz von Mehrweggeschirr über die Entwicklung von KI-gesteuerten Kränen zur Sortierung großstückiger Abfälle bis hin zu Fragestellungen z. B. zur Wiedervernässung von ehemaligen Moorflächen. Im Kern verbindet diese thematisch sehr unterschiedlichen Vorhaben die Frage nach dem Sinn. Ist das Ergebnis, die Lösung oder die Empfehlung aus technischer, ökonomischer und ökobilanzieller Perspektive sinnvoll?
Beispielsweise bei einer Wasserstoff-Rangierlok wie im Projekt sH2unter@ports ist es natürlich wichtig zu wissen, welche Kosten mit dem Einsatz verbunden sind. Das hat in diesem Vorhaben das Smart Mobility Institute der Hochschule Bremerhaven untersucht. Da mit dem Einsatz das Ziel verfolgt wird, das Klima zu schützen, ist es aber entscheidend, ob das Ziel überhaupt erreicht werden kann. Oft scheint es offensichtlich, dass eine Maßnahme positiv für die Umwelt ist, beispielsweise bei einer Wasserstoff-Rangierlok, das stimmt aber nicht immer. Denn zum Teil haben wir es in diesem Bereich auch mit „einfachen Wahrheiten“ oder auch ideologisch vorbelasteten Themen zu tun.
Was meinen Sie damit?
Nehmen Sie z. B. die Themen Kunststoff oder Mehrweggeschirr. Wer weiß schon, dass die Plastiktüte in Bezug auf den Klima- und Ressourcenschutz meist besser ist als Papiertüten oder Baumwollbeutel oder bei einigen Anwendungen Einweglösungen in Bezug auf den Klima- und Ressourcenschutz besser sein können als Mehrweglösungen. Aus wissenschaftlicher Sicht gilt es, die Sinnfrage zu stellen, zu untersuchen, welche Lösung in Bezug auf die gesteckten Ziele, z. B. den Klimaschutz, tatsächlich die bessere ist.
Zur Person
Prof. Dr. Martin Wittmaier ist Leiter des Instituts für Energie und Kreislaufwirtschaft an der Hochschule Bremen GmbH (IEKrW). Er ist von der Handelskammer Bremen – IHK für Bremen und Bremerhaven öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Abfallwirtschaft und Biogasanlagen, Mitglied der Akademie der Kreislaufwirtschaft, Vorstandsmitglied des Verbandes der Humus und Erdenwirtschaft Region Nord, Hannover und Mitglied beim RDRWind e.V.
Das Institut
Das Institut für Energie und Kreislaufwirtschaft ist ein Forschungsinstitut an der Hochschule Bremen GmbH. Ziel des IEKrW ist die Entwicklung von ökologisch und ökonomisch sinnvollen Lösungskonzepten für die Energie- und Kreislaufwirtschaft, das produzierende Gewerbe sowie für Dienstleistungsunternehmen. So dient das Institut seit seiner Gründung im Jahr 2000 dem Transfer zwischen Wirtschaft und Wissenschaft. Die Energie- und Kreislaufwirtschaft soll so neue Ideen und fachliche Beratung erhalten, während die Hochschule Bremen durch den Praxisbezug des Instituts über anwendungsorientierte Forschungs- und Entwicklungsvorhaben für die Ausbildung der Studierenden profitiert. Vornehmliche Aufgabe des Instituts: die Entwicklung und Bewertung von Verfahren zur Erzeugung regenerativer Energie, der Verwertung und Kreislaufführung von Stoffen, der effizienteren Nutzung von Rohstoffen sowie die Reinigung von Wässern, Schlämmen, Feststoffen und Abluft.
Wie finden Sie heraus, ob ein Projekt ökologisch sinnvoll ist?
In der Ökobilanzierung gibt es feste Standards, die wir anwenden. Wenn wir zum Beispiel die Umweltbilanz einer Wasserstoff-Rangierlok wie in unserem Projekt sH2unter@ports untersuchen, folgen wir der DIN 14040 und 14044. Bei der Berechnung des CO₂-Fußabdrucks eines Unternehmens orientieren wir uns am Greenhouse Gas Protocol. Diese Standards geben uns eine klare Vorgehensweise vor, wie wir die ökologischen Auswirkungen messen und transparent darstellen können.
Was sind aktuell die technologischen Schwerpunkte in Ihrem Institut?
Unsere Schwerpunkte ändern sich mit der Zeit, je nach Reife und Relevanz der Technologien. Wir konzentrieren uns stark auf Umwelttechnik im weiteren Sinne. In den 2000er-Jahren war beispielsweise Biogas ein großes Thema, während heute Windenergie und Recycling von Windkraftanlagen, insbesondere von Windkraftflügeln, im Vordergrund stehen. Ein weiteres wichtiges Thema ist die Pyrolyse. Wir haben gerade ein neues Vorhaben, in dem wir mit Partnern ein Verfahren zur Behandlung von Klärschlamm entwickeln. Unser Fokus liegt darauf, Lösungen zu entwickeln, die zur Verbesserung der Umweltauswirkungen beitragen.
Was ist perspektivisch das wichtigste Nachhaltigkeitsthema in Ihrer Organisation?
Das alles bestimmende Thema ist sicherlich der Klimaschutz. Viele unserer Projekte, wie die Dekarbonisierung des Hafens und der Einsatz von Wasserstoff in Rangierloks, sind darauf ausgerichtet, den Klimawandel zu bekämpfen. Klimaschutz ist eine Klammer um viele unserer Projekte und wir arbeiten kontinuierlich daran, Lösungen zu entwickeln, die sowohl ökologisch als auch ökonomisch sinnvoll sind.
Welche wissenschaftlichen Impulse, insbesondere aus Ihrer Disziplin, sind in den letzten Jahren wegweisend geworden?
In den 90er und 2000er-Jahren gab es viele neue Entwicklungen in der Abfallwirtschaft, die sich in der Praxis etabliert haben. Heutzutage liegt der Fokus stark auf dem Klimaschutz und den erneuerbaren Energien, wie Photovoltaik, Windkraft etc.. Auch die Wasserstoffwirtschaft beginnt sich zu entwickeln. Wissenschaft spielt eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung dieser Technologien und muss weiterhin Lösungen für die drängenden Umweltprobleme liefern.
Welche Rolle kann und sollte Wissenschaft im Wandel zu einer nachhaltigeren Wirtschaft spielen?
Zunächst einmal: Wissenschaft produziert nicht die eine Wahrheit. Aber: Wissenschaft hat die Aufgabe, auf Basis von Daten, Zahlen und Fakten Lösungen zu entwickeln, Entscheidungsgrundlagen zu objektivieren. Sie sollte eine zentrale Rolle im Wandel spielen und hilft dabei, Antworten auf Fragen z. B. in Bezug auf den Klimaschutz zu finden. Wichtig ist, dass wissenschaftliche Erkenntnisse nicht nur gehört, sondern auch in die Praxis umgesetzt werden. Dies geschieht nicht immer ausreichend schnell. Letztlich muss aber auch anerkannt werden, dass der Abwägungsprozess zwischen ökologischen, ökonomischen und sozialen Faktoren entscheidend für die Umsetzung und den Erfolg von nachhaltigen Maßnahmen ist und in der Abwägung nicht immer 100 % für den Umweltschutz sinnvoll erreicht werden können. Das Ergebnis von Abwägungsprozessen ist nicht die absolute Wahrheit, sondern Ergebnis der Berücksichtigung konkurrierender Ziele, der Kompromiss.
Wie schwierig ist eine solche Abwägung über Länder- und Wohlstandsgrenzen hinaus?
Das ist komplex. Sehen Sie: In vielen Ländern gibt es einfach nicht genug Wohlstand, um zu sagen, dass Klimaschutz immer vorgeht, egal was es kostet. Umweltschutz wird meiner Meinung nach insbesondere dann funktionieren, wenn wir intelligente und am Ende wirtschaftliche Verfahren entwickeln, die umweltfreundlich und bezahlbar sind. Ein Beispiel: In Sierra Leone, wo wir schon Vorhaben durchgeführt haben, ist in Bezug auf den Umweltschutz eine Menge zu tun. Wie wollen Sie aber den Menschen dort in jedem Winkel eine funktionierende Müllabfuhr abverlangen, wenn sie am Existenzminimum leben? Abfallwirtschaft und Umweltschutz insgesamt kosten meistens Geld. Am Ende müssen wir dafür sorgen, dass Umweltschutz bezahlbar ist, beispielsweise perspektivisch Strom durch Photovoltaikanlagen für 2-3 Cent pro Kilowattstunde produziert werden kann, Speichertechnologien günstiger werden und es hier und auch im globalen Süden keinen Anreiz mehr gibt, auf fossile Energien zu setzen. Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit müssen keine Gegensätze sein, wie das Beispiel der erneuerbaren Energien zeigt. Wir müssen das allerding noch auf andere Handlungsfelder des Umweltschutzes übertragen und in allen Bereichen wird das nicht möglich sein.
Also führen wir hier eine Art Wohlstandsdiskussion.
Es ist kein Zufall, dass Umweltschutzmaßnahmen in wohlhabenden Ländern erfolgreicher und umfänglicher umgesetzt werden als in weniger wohlhabenden Ländern. Wir müssen auch für den Umweltschutz unseren Wohlstand bewahren und weniger Wohlhabenden helfen, ihren Wohlstand zu mehren um Umweltschutz zu ermöglichen.
Wo stehen wir da gerade, was die gesetzlichen Vorgaben angeht?
Allgemein ist zu sehen, dass aktuell immer stärker und engmaschiger reguliert wird und Innovation dadurch z. T. auch behindert werden. Ich würde mir wünschen, dass Gesetze wieder lesbar werden und beim Streben nach Sicherheit mit mehr Augenmaß abgewogen wird.
Danke für das Gespräch.
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