„Wir können nicht ewig warten“

Potraitfoto von Yvonne Bonventre im schwarzen Blazer und weißer Bluse mit Rundhalsausschnitt und dezenten hellblauen Punkten.

Yvonne Bonventre ist Leiterin Nachhaltigkeit bei BLG LOGISTICS. Sie hat die Abteilung Nachhaltigkeit mit aufgebaut und leitet heute das Team.

Frau Bonventre. Sie sind nun seit gut zehn Jahren bei der BLG. Und Sie sind Diplombiologin. Das klingt nach einem interessanten Hintergrund für den Weg in ein Logistikunternehmen.

Stimmt. 1994 bin ich zum Biologiestudium nach Bremen gekommen. Nach meinem Abschluss mit dem Schwerpunkt Humangenetik und einer Familien-bedingten Auszeit habe ich dann noch die Möglichkeit genutzt, mich breiter in Sachen Nachhaltigkeit aufzustellen. Teil des weiterführenden Studiums „Umwelt, Energie, Nachhaltigkeit“ war ein betriebliches Praktikum, das ich bei der BLG absolviert habe. Und so habe ich die Welt der Logistik kennengelernt. Vorher hatte ich mit Logistik noch nichts am Hut. 2012 wurde aber genau hier die Nachhaltigkeitsabteilung aufgebaut. Und ich habe mich entschieden, nicht in ein kleines Planungsbüro zu gehen, das ohnehin schon in Sachen Nachhaltigkeit unterwegs ist, sondern lieber in die Logistik, wo es einen größeren Stellhebel gibt. So kann ich mehr bewirken und das Thema stärker vorantreiben. Das halte ich nach wie vor für eine gute Entscheidung.

Sie waren zur rechten Zeit am rechten Ort.

Kann man so sagen. Ich konnte eine spannende Entwicklung mitgestalten. Mit einem kleinen Team haben wir das Nachhaltigkeitsmanagement aufgebaut, CO2-Bilanzierung und Klimaziele entwickelt sowie die Berichterstattung ausgebaut. Zunächst war das Thema Nachhaltigkeit noch im Bereich Forschung und Entwicklung angesiedelt. Dann gab es im Unternehmen den Bereich Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Mittlerweile ist die Abteilung Nachhaltigkeit organisatorisch als Stabsstelle im Finanzressort verortet und wir berichten an unsere Finanzvorständin.

Warum dieser Wandel? Warum ist das sinnvoll?

An Nachhaltigkeit kommt heute keiner mehr vorbei. Das wurde auch auf dem Podium hier beim Fachforum Projektlogistik deutlich. Nachhaltigkeit definieren wir als Querschnittsaufgabe. Sie umfasst für uns alle drei Dimensionen: ökonomisch, sozial und natürlich ökologisch. Das Thema lässt sich nicht auf eine Abteilung beschränken oder auf die reine Umsetzung rechtlicher Vorgaben oder das Setzen von Klimazielen. Nichtfinanzielle Kennzahlen bekommen einen immer höheren Stellenwert. Für uns ist das ein zentrales Steuerungskriterium und daher passt auch die Nähe zum Finanzressort. Hier sind auch Themen wie Einkauf, Risikomanagement Recht und Compliance angebunden. Das macht ein enges Zusammenspiel möglich und schafft Synergieeffekte.

Wir haben für die BLG insgesamt 11 Handlungsfelder definiert und uns strategische Ziele gesetzt Wir haben da verhältnismäßig früh mit begonnen, konnten viele Erfahrungen sammeln und immer detaillierter werden. Ein sehr wichtiger Bestandteil unserer Nachhaltigkeitsbestrebungen ist unsere „Mission Klima“. Damit hat sich die BLG ein festes Ziel gesetzt, den Treibhausgasausstoß zunächst absolut deutlich zu reduzieren und bis 2030 ein klimaneutrales Unternehmen zu werden.

Wo haben Sie zuerst angesetzt, etwa was die CO2-Emissionen angeht?

Zuerst muss man natürlich eine Art Inventur machen, um zu wissen, worüber man spricht. Denn man kann nur lenken und Reduktionen nachweisen, wenn man auch die Energieverbräuche erfassen und die zugehörigen Emissionen quantifizieren kann. Dafür schaut man sich zuerst die Energieverbräuche an, die unmittelbar im eigenen Unternehmen, bei den eigenen Geschäftstätigkeiten, anfallen. Damit  berechnet man die sogenannten Scope 1 und 2Emissionen. Erweiternd blickt man dann in die vor- und nachgelagerten Prozesse. Hier werden zum Beispiel die Transporte, die durch Subunternehmen durchgeführt werden oder auch Emissionen aus der Mitarbeitenden-Mobilität und von Beteiligungen erfasst. Diese zählen zu den Scope 3-Emissionen. In Summe haben wir dann eine CO2-Bilanz nach den Vorgaben des Greenhouse-Gas-Protocol.

Und wie funktioniert dann die Umsetzung? Haben Sie den Eindruck, dass Nachhaltigkeit in der Branche eine ausreichende Rolle spielt und auch umgesetzt wird?

Wie weit die einzelnen Unternehmen da sind, ist sicherlich unterschiedlich. Inzwischen wird das Kriterium Nachhaltigkeit aber zunehmend vergaberelevant. Unsere Kunden fragen immer häufiger detailliert nach, etwa was die Emissionen angeht, die für die angefragte Geschäftstätigkeit anfallen. Und verstärkt sind auch nicht nur die Zielrichtungen interessant, sondern vorzeigbare, umgesetzte Maßnahmen. So wird es immer wichtiger, nicht nur erkannt zu haben, welche immense Rolle Nachhaltigkeit spielt, sondern auch zu handeln.

Yvonne Bonventre sitzt in einem beigen Sessel. Sie hat die Beine überschlagen und lehnt sich mit dem Ellenbogen auf der von ihr aus rechten Sessellehne ab. Sie trägt eine weite Hose in Beige und ein blaues Oberteil mit Rundhalsausschnitt.

Beispielsweise?

Nehmen Sie unser Projekt C3 Bremen, die Logistikimmobilie, die wir gemeinsam mit Baytree im Bremer Güterverkehrszentrum nach nachhaltigen Standards entwickelt haben. Beim C3 Bremen, wobei bereits der Name für Customer, Climate und Comfort steht, wurden Kundenwünsche, das Thema Klimaschutz und Mitarbeitenden-Bedürfnisse auf ganzer Linie in den Mittelpunkt gesetzt. Im Frühjahr werden die Sonnenkollektoren auf das Dach gebracht. Das soll Deutschlands größte zusammenhängende Fotovoltaik-Aufdachanlage mit bis zu 10 MW werden. Die PV-Anlage ist neben vielen weiteren Aspekten, wie eine überdurchschnittlich isolierte Gebäudehülle, viel Tageslichteinfall durch zusätzliche Fenster, intelligente Lichtsteuerung, ein Betriebsrestaurant mit Außenterrasse sowie eine Grünanlage mit heimischen Bäumen und Gehölzen, das Herzstück unseres Leuchtturmprojektes.

"Kundenwünsche, Klimaschutz und Mitarbeitenden-Bedürfnisse in den Mittelpunkt gesetzt"

Projekt C3 Bremen: Die Logistikimmobilie wurde von BLG gemeinsam mit Baytree im Bremer Güterverkehrszentrum nach nachhaltigen Standards entwickelt.

Wie implementiert man Nachhaltigkeit? Wurden die Planungen anders angegangen als bei einem herkömmlichen Projekt?

Im Projekt C3 Bremen gab es bei der Planung ein sogenanntes Nachhaltigkeitsbudget. Natürlich wird genau drauf geschaut und abgewogen, wie man es am wirksamsten einsetzen kann. ,Das findet sich dann in der Bauweise und zum Beispiel bei energetischen Merkmalen wieder. Im Projekt C3 Bremen hatten wir das Glück, von Grund auf neu denken zu können. Zusammen mit den zahlreichen Projektpartnern haben wir eine neue, nachhaltige Logistikimmobilie geschaffen. Das ist eine Zusammenarbeit, die sich sehen lassen kann.

Wie wichtig sind Partnerschaften in diesem Bereich?

Sehr wichtig! Ohne gemeinsames Handeln zum Beispiel mit den eigenen Partnern entlang der Lieferketten, können wir solche Großprojekte nicht umsetzen. Das gilt erst recht in der Logistikbranche mit ihren kurzen Vertragslaufzeiten, und wo der Preis immer eine entscheidende Rolle spielt. Auch bin ich überzeugt, dass Nachhaltigkeit im Wettbewerb ein entscheidendes Kriterium sein wird. Daher ist es wichtig, gemeinsam etwa mit der Wissenschaft, Verbänden und Vereinigungen an den Themen zu arbeiten und Potentiale herauszuarbeiten.

Denken Sie dabei auch an bestimmte technologische Innovationen?

Ja, diese werden in jedem Fall benötigt. Zukunftsweisende Automatisierungs- und Digitalisierungsprojekte sollten möglichst auch zu Energieeinsparungen und somit zu weniger CO2-Emissionen führen. Aber wir können nicht ewig auf den nächsten Technologiesprung warten, sondern müssen jetzt schon handeln, vorhandene Entwicklungen testen und einsetzen und natürlich auch unsere Prozesse stetig optimieren.

Welche Erfolgserlebnisse entlang ihrer Tätigkeit haben Sie denn persönlich am meisten bewegt?

Wenn ich Menschen bei meiner Arbeit begegne, die sich im Vorfeld nicht mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigt haben, und diese dann einen Mehrwert für sich und ihre Arbeit erkennen. Auch wenn ich anderen aufzeigen kann, wie viel sich bewegen lässt, gerade in der Logistik und wo es überall Hebel gibt, da stecke ich mit meiner Begeisterung für das Thema gern andere an.

Seit wann ist Ihnen das Thema wichtig?

Mich persönlich begleitet das Thema schon lange, und ich versuche Vieles einfach in meinem täglichen Leben umzusetzen, so fahre ich mit dem Rad, kaufe möglichst bewusst, lokal und regional, und nutze Gegenstände lang.  

Frau Bonventre, danke für das Gespräch.

Teilnehmer:innen bei Podiumsdiskussion auf dem BHV-Fachforum Projektlogistik.