Nachhaltigkeit in der Seeschifffahrt
– Soziale Unterstützung der Seeleute

Insgesamt 1,89 Millionen Seeleute sind weltweit in der Seeschifffahrt beschäftigt. Aufgrund der verbreiteten Billigflaggen-Praxis sind sie nationalstaatlichen Kontrollen häufig weitgehend entzogen und arbeiten unter prekären Arbeitsbedingungen. Obwohl die Nachfrage nach sozialen und umweltbezogenen Mindeststandards im weltweiten Anbau und der Produktion von Waren in den letzten Jahren stark zugenommen hat und mit der Einführung des neuen Lieferkettengesetzes inzwischen auch rechtlich verankert ist, sind die Arbeitsbedingungen auf See noch weitgehend ungeregelt.

Für ihre Verbesserung setzen sich verschiedene Institutionen ein. Wir haben mit drei regionalen Vertreter*innen dieser Organisationen gesprochen und stellen Ihnen in einer dreiteiligen Serie deren Sicht vor.

Das sagt das Bündnis "Fair übers Meer"

Porträtfoto von Matthias Ristau
Matthias Ristau ist Generalsekretär der Deutschen Seemannsmission. (Foto: J.R. Heicks)

Lesen Sie hier die anderen beiden Teile der Serie:

Interview mit Christine Freytag

Interview mit Sven Hemme

 

 

Herr Ristau, Sie sind als Generalsekretär der Deutschen Seemannsmission für das Bündnis „Fair übers Meer“ zuständig. Was ist Ihnen ein besonderes Anliegen?

Wenn über Nachhaltigkeit in der Schifffahrt gesprochen wird, wird das Thema fast ausschließlich auf ökologische Aspekte, wie z.B. der CO2-Ausstoß der Schiffsantriebe reduziert. Zur Nachhaltigkeit gehören aber genauso soziale Aspekte und damit verbunden z.B. die Arbeitsbedingungen der Seeleute an Bord. Die Seeleute finden kaum Beachtung. So gibt es beispielsweise regional keine Publikationen darüber, wie viele Seeleute in einem Jahr an den norddeutschen Häfen an- und ab gefahren sind, wohl aber genaue Daten über die Anzahl der Kreuzfahrtpassagiere, Container, Autos usw. Nicht einmal in der Hafenstatistik kommen Seeleute vor.

Der Begriff „Seeblindheit“ umfasst dieses Phänomen sehr gut. Wir sehen das Meer, gehen darin schwimmen und fahren darauf von einem Ort zum anderen. Aber die Bedeutung des weltweiten Handels über das Meer, für unsere Versorgung, für unser Klima, aber auch für die Menschen, die unsere Waren, die wir täglich konsumieren, transportieren, wird oft vernachlässigt.

Darüber hinaus hat die öffentliche Präsenz von Seeleuten zusätzlich abgenommen. Früher liefen Matrosen erkennbar durch die Innenstädte, heute lassen die kurzen Liegezeiten und Sicherheitszäune das nicht mehr zu.

Was möchten Sie mit der Kampagne erreichen?

Bei Fairübersmeer handelt es sich um ein Bündnis, das die Arbeitsbedingungen der Seeleute über die Mindeststandards der Maritime Labour Convention (MLC) hinaus weiter verbessern will. Forderungen sind u.a. Rechtliche Rahmenbedingungen, wie z.B. unbefristete Arbeitsverträge und eine Kranken- und Sozialversicherung während des Urlaubs. Eine ausreichende Mindestbesatzung der Schiffe, um Pausen und längere Ruhezeiten (Schlaf) garantieren und gesundheitliche Schäden vermeiden zu können. Ein freier Tag pro Woche ist ebenfalls wünschenswert, da sich Ruhe und Entspannung bei Verträgen von 7 - 10 Monaten nicht monatelang aufsparen lässt. Das Gleiche gilt für das Recht auf Landgang im Hafen.

Darüber hinaus ist uns auch die Einhaltung von Persönlichkeitsrechten und des Datenschutzes an Bord wichtig. Dieser ist nicht immer gewährleistet, wie wir aus der Erfahrung wissen.

Abschließend sind uns auch die Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten der Seeleute ein wichtiges Anliegen. Dabei geht es um die Aufklärung der Seeleute über ihre Rechte nach MLC, sowie um die Vorbereitung der Seeleute auf psychisch belastende Ereignisse. Gerade zu Pandemiezeiten hat die psychische Belastung noch einmal stark zugenommen.

Unterstützt wird das Bündnis Fair übers Meer u.a. von der Seemannsmission, den Fairhandelsorganisationen und ver.di.

Von unserer Seite aus bestehen aktuell Überlegungen, das Tarifrecht der Internationalen Transportarbeiter-Gewerkschaft (ITF) als Voraussetzung aufzunehmen, damit eine Rederei den greenports Award bekommen kann, der jährlich von der bremenports GmbH verliehen wird. Was halten Sie von der Idee?

Die Aufnahme der Anforderungen aus dem Tarifvertrag der ITF halte ich für begrüßenswert. Allerdings handelt es sich hierbei um Anforderungen, die aus unserer Sicht noch nicht ausreichend sind. Weitere Kriterien für eine faire Seefahrt sind notwendig, die neben einer Bezahlung nach Tarif noch mehr Aspekte beinhaltet. Was bislang noch nicht erfasst wurde, aber mindestens genauso wichtig u.a. für die Absicherung der Seeleute ist, sind die Themen Altersvorsorge, Ruhezeiten, Internetzugang an Bord oder auch Beschwerdemöglichkeiten. Eine Aufnahme der ITF-Standards als Kriterium für den greenports-Award ist ein Schritt in die richtige Richtung, dem noch einige folgen sollten.

Der Bereich Logistik im Allgemeinen und Schifffahrt im Besonderen findet im neuen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz kaum Erwähnung. Wie wichtig finden Sie es, dass der Schiffstransport hier mit aufgenommen wird?

Das Lieferkettengesetz sollte den gesamten Transportweg eines Produktes beinhalten und nachvollziehbar gestalten. Hier wurde das aktuelle Gesetz zu kurz gefasst und sollte um die Transportkette erweitert werden. Deutsches Recht hilft aber leider nur bedingt, für eine stärkere Durchsetzungskraft wäre weltweites Recht zielführender.

Sie kooperieren mit anderen Seemannsmissionen und der ITF. Welche Erfolge und Schwierigkeiten erleben Sie in Ihrer täglichen Arbeit?

Die Organisationen an Land arbeiten eng zusammen und bieten den Seeleuten ein breites Netzwerk an Unterstützung. Auf der rechtlichen Seite hat z.B. die BG Verkehr als Hafenstaatskontrolle die Möglichkeit, alle Schiffe, die die regionalen Häfen anlaufen, zu überprüfen. Werden an Bord Verstöße gegen die MLC aufgezeichnet, kann die BG Verkehr Schiffe festlegen. Dies geschieht beispielsweise dann, wenn herauskommt, dass der Reeder mehrere Monate keine Heuer gezahlt hat.

Die ITF und die Seemannsmission sind zudem offizielle Beschwerdestellen für Seeleute. So können die Seefahrer*innen über die Seite DSM.care niederschwellig mit der Seemannsmission chatten, auch anonym, oder von Problemen berichten. Dazu zählen auch Verletzungen von Arbeitsrechten an Bord. Beschwerden werden dann ggf. an Zuständige weitergeleitet und so erste Unterstützungsangebote möglich.

Besondere Unterstützung vor Ort erfahren Seeleute, die krankheitsbedingt das Schiff und damit ihren Arbeitsplatz verlassen und ins nächste Krankenhaus müssen. Da, wo es möglich ist, besuchen Vertreter*innen der Seemannsmission die Kranken vor Ort und bieten individuelle Unterstützung an.