Nachhaltigkeit in der Seeschifffahrt
– Soziale Unterstützung der Seeleute

Insgesamt 1,89 Millionen Seeleute sind weltweit in der Seeschifffahrt beschäftigt. Aufgrund der verbreiteten Billigflaggen-Praxis sind sie nationalstaatlichen Kontrollen häufig weitgehend entzogen und arbeiten unter prekären Arbeitsbedingungen. Obwohl die Nachfrage nach sozialen und umweltbezogenen Mindeststandards im weltweiten Anbau und der Produktion von Waren in den letzten Jahren stark zugenommen hat und mit der Einführung des neuen Lieferkettengesetzes inzwischen auch rechtlich verankert ist, sind die Arbeitsbedingungen auf See noch weitgehend ungeregelt.

Für ihre Verbesserung setzen sich verschiedene Institutionen ein. Wir haben mit drei regionalen Vertreter_innen dieser Organisationen gesprochen und stellen Ihnen in einer dreiteiligen Serie deren Sicht vor.

Das sagt die Internationale
Transportarbeiter-Föderation

Sven Hemme ist ITF  (Internationalen Transportarbeiter-Föderation) Koordinator für ver.di.

Lesen Sie hier die anderen beiden Teile der Serie:

Interview mit Christine Freytag

Interview mit Matthias Ristau

 

 

Herr Hemme, Sie sind bei der ITF als ITF Koordinator beschäftigt. Was ist Ihre Aufgabe bei der ITF?

Ich bin als ITF-Inspektor für die Häfen im Weserraum zuständig und kontrolliere die Beschäftigungsbedingungen der in der Region ankommenden Schiffe mit Tarifvertrag Die internationale Gewerkschaft beschäftigt weltweit rund 130 Inspektor_innen und ist in jedem Mitgliedsland einer nationalen Gewerkschaft angeschlossen. In Deutschland ist sie mit ver.di verbunden, um agieren zu können.

Wir haben Zutritt zu allen Schiffen, deren Reedereien einen Tarifvertrag abgeschlossen haben. Aktuell sind das 13.400 von knapp 55.000 Schiffen weltweit. Stichprobenartig prüfen wir diese auf Sicherheitsmängel und arbeitsrechtliche Anforderungen. Dazu erfolgt ein Rundgang an Bord, und eine Durchsicht der Personalunterlagen. Anhand der Arbeitszeitnachweise und monatlichen Gehaltsabrechnungen der Seeleute lässt sich bspw. die Angemessenheit der Heuer sowie die Einhaltung von Pausen- und Urlaubszeiten ablesen, wenn auch nicht immer vollständig. Auch die Einhaltung von Feiertagen, maximale Vertragslängen von 10 Monaten, das Recht auf Heimaturlaub, der Zugang zu medizinischer Versorgung, inkl. Krankengeld und Kompensationszahlungen sowie das Recht, nicht in Kriegsgebieten arbeiten zu müssen, sind Bestandteil der Begutachtung.

Worin unterscheiden sich die Standards der Maritime Labour Convention (MLC) und das Tarifrecht der Internationalen Transportarbeiter-Gewerkschaft (ITF)?

Die Maritime Labour Convention (MLC), stellt seit ihrer Einführung in 2013 für alle Seeleute auf knapp 55.000 Seeschiffen weltweit eine Art „Charta der Grundrechte“ dar. Sie definiert Mindestanforderungen für die Arbeit auf Schiffen z.B. in Bezug auf Mindestalter, Unterbringung, Urlaubsanspruch sowie Gesundheits- und Sozialschutz während der Arbeit. Alle Schiffe in den Häfen ratifizierter Staaten können auf Einhaltung ihrer Anforderungen kontrolliert werden, unabhängig von der Flagge, unter der sie fahren.

Für die ITF ist die "Maritime Labour Convention" (MLC) ein Meilenstein. Das Regelwerk wurde zusammen mit der Internationalen Arbeitsorganisation ILO, mit Reedereien und Regierungen erarbeitet. Der große Unterschied zu bisherigen Abkommen besteht in der Durchsetzung - sie wurde zu einer staatlichen Aufgabe und wird in Deutschland von der Berufsgenossenschaft BG Verkehr ausgeführt. Wird ein Verstoß festgestellt, darf ein Schiff erst wieder auslaufen, wenn das Problem behoben ist.

Die ITF hilft seit ihrer Gründung im Jahr 1896 den ihr angeschlossenen Gewerkschaften, die Arbeitsbedingungen aller Seeleute zu verbessern. Damals erkannten die europäischen Gewerkschaften, dass sie ohne eine grenzübergreifende Zusammenarbeit keine Chance gegen die internationalen Schifffahrtsgesellschaften haben würden.

Konkret bietet die ITF Unterstützung bei den ihnen angeschlossenen Gewerkschaften beim Abschluss von Kollektivverträgen, die über die Mindestanforderungen der MLC hinausgehen. Die ITF wendet sich gegen das Billigflaggensystem und betreibt gemeinsam mit ver.di die sogenannte Billigflaggenkampagne. Das Billigflaggensystem ermöglicht es Reedern, ihre Schiffe in ausländischen Flaggenregistern einzutragen, die nur wenig oder gar keine Kontrolle über die Reeder ausüben, um in ihren eigenen Ländern geltende Steuern und Vorschriften zu umgehen. Rund 75 % aller Schiffe fahren mittlerweile unter einer Flagge, die nicht der Nationalität des Besitzers entspricht. Einige Reeder nutzen diesen Vorteil, um auf Kosten von prekären Arbeitsbedingungen ihren Profit zu maximieren.

Von unserer Seite bestehen aktuell Überlegungen einen vorhandenen Tarifvertrag nach ITF als Voraussetzung aufzunehmen, damit eine Rederei den greenports Award bekommen kann, der jährlich von der bremenports GmbH verliehen wird. Was halten Sie von der Idee?

Da soziale Aspekte der Seeschifffahrt bislang noch wenig Beachtung finden, halte ich die Anforderung eines ITF-Tarifvertrags als ein Bewertungskriterium für äußerst sinnvoll. Auf der Seite www.itfseafarers.org/en/look-up lässt sich nachschauen, welche Schiffe den ITF-Standards unterliegen. Es wäre wünschenswert, weitere Kriterien zur sozialen Gerechtigkeit hinzuzunehmen, da es sich bei den ITF-Kriterien um Mindeststandards handelt. Viele Faktoren wie Recreation Facilities an Bord, also die Sport- und Ruhemöglichkeiten, oder die massive Anzahl an Überstunden werden momentan noch nicht betrachtet. Es ist uns ein großes Anliegen, dass die Hafenverordnung entsprechend angepasst wird.