Dumpfe Hilferufe klingen am Samstag, den 8. Oktober über den Brinkamahof von bremenports. Sie kommen aus einem Autowrack. Eine Frau ist eingeklemmt, ein junger Mann mit neongelber THW-Jacke spricht sie an. Kurze Zeit später wird sie aus dem Autowrack gerettet sein. Mehrere Kleinwagen haben bremenports und THW am Vortag hier deponiert, als Teil einer Katastrophenschutzübung, genauer: als Teil der ersten Katastrophenschutzübung dieser Größenordnung in Bremerhaven. Über 100 Fahrzeuge und 20 Boote sowie über 450 Helfer*Innen sind im Einsatz.
Es ist sonnig aber frisch an diesem Oktobervormittag. Die 50 freiwilligen Unfalldarsteller, die sich zur Übung gemeldet haben, um authentisch den Notfall zu spielen, spüren die Kälte, die beim Warten auf Hilfe durch die Kleidung kriecht. Sie haben sich von Sybille Jahn vom DRK schminken lassen und als Verletzte auf dem Brinkamahof verteilt. Sie haben Blessuren aller Art geschminkt bekommen: Veilchen im Gesicht, Schürfwunden, Blut – Ein Mann humpelt hingebungsvoll und hält sich das Bein, aus dem scheinbar ein Vierkantholz ragt. Ein verwirrter älterer Herr mit grauem Haar, getrübtem Blick und Lederjacke schlurft zwischen den übermannshohen Gummifendern umher: „Ich suche meinen Bruder“, wiederholt er immer wieder – ganz schön authentisch. Und das soll es auch sein, damit möglichst unter Ernstfallbedingungen geübt werden kann.
Wenige Meter weiter lässt Jochen Soot vom THW die Hand mit dem Funkgerät sinken, während in seiner anderen schon sein Handy klingelt. Der Einsatzleiter des THW hat gerade den Alarm für das Szenario per Funk durchgegeben. Alarmzeitpunkt 9:00 Uhr. Es gibt erste Rückfragen. Das Szenario: Über die fiktive Halbinsel Bremenports City, am Brinkamahof, ist ein schwerer Sturm hinweggefegt, oder wie die Fachleute sagen: Ein Extremwetterereignis. Es gibt Verletzte, Brände. Zahlreiche Menschen sind eingeschlossen. Für die Rettungskräfte gilt es nun, die Opfer zu versorgen und in Sicherheit zu bringen. So schnell es geht. Doch das ist gar nicht so einfach…
Cord Schwoge von der Hafenunterhaltung von bremenports macht derweil Dinge, die er normalerweise nicht machen würde: Er zündet einen Holzhaufen an und sorgt so für zusätzlich Rauch und Qualm. Nachschub für die Flammen kommt per Schubkarre aus der Posthalle, in der außerdem Vor- und Nachbereitung laufen sowie die Verpflegung für die Helfer.
09:30 Uhr. Am gegenüberliegenden Ufer, der Columbusinsel, kommen die ersten THW Fahrzeuge zum Stehen. Hier kommt keiner durch. Denn der Columbushopper, der normalerweise beide Ufer verbindet, ist nicht Teil des Szenarios. Hier kommt kein Landfahrzeug mehr weiter. Ein Überraschungsmoment für die Einsatzkräfte. Denn jetzt liegt es an der DLRG, die Boote zu beschaffen, um auf die Insel zu gelangen und die Verletzten zu retten. Ein Hubschrauber der Marine fliegt Rettungskräfte vom THW, dem DRK und der JUH ein. Sie landen auf der Brückenstraße direkt vor dem Brinkamahof.
Hier deutet sich an, wie viele verschiedene Akteure heute im Einsatz sind. Mit DLRG, THW, Feuerwehr, bremenports, Malteser Hilfsdienst, Johanniter Unfallhilfe, EBB, DRK, Ortspolizeibehörde Bremerhaven und Wasserschutzpolizei sowie der Rettungshundestaffel Bremerhaven sind insgesamt 450 Menschen für die Übung im Einsatz, in 19 Szenarien, die teils zeitgleich ablaufen.
Patrick Neubauer aus der Baggerei blickt kritisch auf die Wasserflächen im Hafen. Die, im Vergleich zur Berufsschifffahrt winzigen Boote der Rettungskräfte, die sich im Hafen tummeln, bergen Kollisionspotenzial mit den „großen Pötten“. Neubauer steht auch deshalb parallel in ständigem Kontakt mit dem zentralen Steuerstand der Kaiserschleuse und den Einsatzleitern der Übung.
Rettungen im Hafen
Auch die Nordschleuse ist Bestandteil zweier Szenarien, die von den bremenports-Kollegen Christian Jürgensen und Viktor Krivko ortskundig betreut werden. Vom Dach des Binnenhaupt-Maschinenhauses werden vom Hochwasser eingeschlossene Personen mittels Hubschrauber gerettet. In mehreren spektakulären Anflügen rettet der Heli Personen, die von einem Retter mittels Bordwinde in den in der Luft stehenden Hubschrauber hochgezogen werden.
Pressearbeit gehört auch zu einem realistischen Katastrophenfall. Man sieht Pressebeauftragte der einzelnen Organisationen. Es gibt ein Shuttle, das Pressevertreter zu einzelnen Szenarien bringt. Die unterschiedlichen Szenarien laufen in großen Teilen parallel ab. Gut, dass auch die ortskundigen Kräfte von bremenports dabei sind, die sich im Hafen bestens auskennen.
Ausgehend von diversen abendlichen Vorbereitungsgesprächen zu dieser Großübung bei der Ortskatastrophenschutzbehörde Bremerhaven, welche auch Initiator der Großübung ist, hat Sönke von Glahn die Truppe von beteiligten bremenports-Handwerkern zusammengestellt, die ortskundig auf unseren Betriebsstätten eingesetzt sind. Manfred Brandt, in seiner Funktion als Verbindungsmann zum Katastrophenstab der Stadtgemeinde Bremerhaven, begleitet mit einer offiziellen Delegation des Bundes und der Länder Bremen und Niedersachsen die Katastrophenschutzübung. Mit einem Bus fahren die rund 30 Personen der Delegation durch das Stadtgebiet und gelangen so an den verschiedenen Übungs-Standorten an beeindruckende Einblicke.
Ernstfall Deichbruch
13.30 Uhr. Deichbruch an der Geeste – auch das noch. Am Einsatzort „Schöpfwerk Markfleth“, einem Geestepumpwerk, werden dringend Sandsäcke benötigt. Rund 700 Stück. So sieht es das Szenario vor. Aber woher? Anlaufstelle Nummer eins ist die Hochwasserschutzhalle von bremenports in der Brückenstraße. Die Halle wurde 2014 fertiggestellt und beherbergt Material, das im Notfall dringend benötigt wird. „Das ist eine der Aufgaben von bremenports“, sagt Christian von Deetzen. „Wir halten hier 10.000 fertig gefüllte Sandsäcke vor und nochmal Material für weitere 50.000 Stück. So können wir sicherstellen, dass wir von vornherein auch ohne Nachschub einsatzbereit sind.“ Neben Materialien für Sandsäcke warten auch noch diverse andere Hilfsmittel auf den Ernstfall, wie Geotextilbahnen, Dammbalken oder auch Taschenlampen für Einsätze in der Nacht.
Einsatz für den Hochwasserschutz
In der modernen Halle und auf dem Hof sind drei Stationen aufgebaut, an denen Helfer üben können, Sandsäcke zu befüllen. An einem Stahltrichter sacken die Kollegen Stephan Rademacher und Rene Warkus von bremenports Sand ein. Teleskoplader und Gabelstapler kommen auch zum Einsatz. Nebenan werden zwei Dutzend Einsatzkräfte von den Entsorgungsbetrieben Bremerhaven (EBB) eingewiesen. Draußen steht eine Gruppe um ein EBB Fahrzeug. Es ist ein umfunktioniertes Streufahrzeug mit angebauter Sandrutsche. Ideengeber war Wolfgang Juschkat, Leiter der Abteilung Straßenreinigung und Winterdienst bei der EBB. "Eigentlich ist das eine Methode zum Leeren des Streugutbehälters. Zusätzlich wurde eine Rutsche von uns entworfen und verbaut.“, sagt Juschkat. „Mit angepasster Bandgeschwindigkeit kann man damit auch sehr gut Sand in Sandsäcke füllen.“ Links und rechts der Rutsche stehen Mitarbeiter am Ende des Fahrzeugs. Ist ein Sack voll, kommt der neue Leere gleich nach. „Ein Vorteil ist, dass man so auch mobiler ist. Man kann gleich dahin fahren, wo man die Säcke braucht.“
15 Uhr. Sandsackeinsatz am Schöpfwerk Markfleth. Szenarioleiter Morten Fischer macht letzte Funksprüche. Nach der Menschenkette zum Boot hin, mit Kräften von EBB, THW und DLRG, schafft nun eine Menschenkette von THW und DLRG Sandsäcke die Böschung empor. Ein Pendelverkehr mit Booten und Mannschaften bringt vom anderen Ufer Nachschub. Eine Rettungskraft erkundigt sich, wo die Säcke nach der Übung bleiben. „Die Säcke neben dem Gehweg holen heute Abend Helfer von der EBB ab“, sagt Morten Fischer. Aufatmen beim Helfer. Jeder Sandsack wiegt rund 10 Kilo. Insgesamt wurden mit den vielen Helferhänden heute also einige Tonnen bewegt, allein an Sand - Eine Anstrengung, die sich am Ende gelohnt hat. Denn, so zumindest die erste Bilanz am Dienstag, der Katastrophenschutz in Bremerhaven ist für den Ernstfall sehr gut aufgestellt.
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